Freitag, 17.06.2005, nach der Wagenwäsche
Freitäglich geht es auf die Jagd. Der Mann muß ja was essen.
Meist läuft das auch ohne weltinteressierende Vorkommnisse und somit unspektakulär ab. So auch gestern. Fast. Wenn da nicht die Sache mit dem Barcode gewsen wäre.
Den Wagen mit allerlei Leckereien gefüllt, schlendere ich Richtung Kasse. Meine Stammkassiererin war nicht zusehen. Sie konnte ja auch nicht wissen, daß ich auf Grund des am Abend stattfindenden Klassentreffens eine Stunde eher als sonst dem großen Halali zustrebte. Ich wähle eine kurze Schlange – ein grundsätzlicher Fehler. Eigentlich sind mir die Murphyschen Gesetze bekannt. Zwei Wagen sind vor mir. Das Band ist lang genug, um auch meine Waren des täglichen Bedarfs darauf zu postieren. Zweiter Fehler. Somit bleibt mir ein Rückzug und unproblematischer Kassenwechsel verwehrt. Schließlich hätte das auch nichts genützt – dort wäre bestimmt die Ramazzotti-Flasche lautstark zu Boden gegangen.
Piep – piep – piep – pieppiep.
Das letzte Geräusch passte nicht ins Schema. Doppelt gescannt. Na toll. Nun ist sowas ja heutzutage kein Problem. Den doppelt erfassten Artikel stornieren und gut ist.
Wenn da nicht organisatorische Richtlinien die Angelegenheit geringfügig verzögerten. Gerade dieser Gebrauchsgegenstand war wohl zum Liebling des Monats auserkoren worden und nur von der Masterkassiererin mit dem Masterkey stornierbar.
Nichts leichter als das.
Theoretisch.
Die Kassierein drückt auf einen Knopf, die über ihr angebrachte Kassennummer beginnt nervös zu blinkern ("Hilft mir mal jemand?") und die Chefkasseuse eilt herbei.
Wie gesagt: Theoretisch.
Das das so nicht funktioniert, liegt an den Raumplanern. Die hatten wahrscheinlich eine verkaufspsychologische Schulung und anschließend eine grandiose Idee: Man bringe die Kassennummerblinkeranzeige so an, daß sie mit Sicherheit nicht von der Masterkeyträgerin einzusehen ist. Das wurde auch eins-zu-eins umgesetzt und hat wahrscheinlich folgenden Hintergrund:
Im Zeitalter moderner Warenerfassungssysteme schrumpft die Verweildauer des Kunden an der Kasse immer weiter. Pech für Kleinkinder. Diese haben nun immer weniger die Möglichkeit, sich mit Kaugummis, Schokoriegeln und Tabakwaren zu beschäftigen und ihr Begehren danach lautstark den zufällig anwesenden Erziehungsberechtigten und sonstigen Marktteilnehmern mitzuteilen.
Und damit verbunden auch ein nicht hinzunehmender Umsatzverlust.
Ein künstliches Verzögerungsmoment muß her.
Die Technik und der kassierende Mensch fallen schon mal weg – die sind auf allerhöchstem Niveau und nicht anpaßbar.
Bleibt noch der Kunde selbst, bauliche Gegebenheiten und die politische Großwetterlage. Der Kunde fällt ‚raus, weil er sonst woanders hin geht. Die Politik ist wegen möglicher internationaler Magenverstimmungen ebenfalls nicht zu gebrauchen. Übrig sind Betonpfosten, Regalreihen und der "Servicepoint".
Nach mehrjähriger Planungsphase und unzähligen Testaufbauten fanden die Architekten eine geniale wie einfache Lösung.
Die funktioniert so:
Jede Kasse ist an einem Betonpfeiler angeschraubt, an dem wiederum vier Leuchten befestigt sind – geöffnet, letzter Kunde, geschlossen, "Hilft mir mal jemand?".
Prinzipiell keine schlechte Sache und aussagekräftig. Vorausgesetzt, es sieht auch mal jemand hin.
Wenn bei geschlossenen Kassen nicht auch noch ein Gitter den Zugang behinderte, gäbe es sicher genügend Einkäufer, die ihre Jagdtrophäen auch dann auf das Förderband beförderten, wenn nur die Reinigungskraft das Staubtuch schwingt. Nur weil sie nicht nach oben schauen. Zur Anzeige.
Schauen könnten die Service- und Hilfskräfte auch. Wenn, ja wenn die Betonsäulen nicht wären. Die versperren nämlich unter anderem die Sicht auf das Blinklicht.
Genial.
Klugerweise wurden an den Kassen auch andere Vorrichtungen weggelassen, mit denen sich die geplagten Fachkräfte bemerkbar machen könnten. Rufen geht ebenfalls nicht – die anwesenden Kunden halten sich einfach nicht an die Anweisung, sich ruhig und besonnen zu verhalten – sie unterhalten sich geräuschvoll und geben den hilfesuchenden Kassendamen somit nicht die geringste Chance, akustisch bis zum Servicepoint durchzudringen. Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als die Box zu verlassen, sich gestikulierend neben selbige zu positionieren und zu warten, bis die Dienstpunktkräfte visuellen Kontakt zu ihnen herstellen können.
Die Betonung liegt auf können. Das dauert schon mal etwas länger. Bei der Vielzahl an Kunden übersieht man auch mal die eigenen Mitarbeiter.
Zeit vergeht. Zeit, um in Ruhe Zigarettenmarken auswendig zu lernen. Oder die Inhaltsstoffe von Keksriegel studieren.
Jetzt, nach wiederholtem Winken, kommt Bewegung in die Angelegenheit.
Und dann geht alles ganz fix. Masterkey stecken – Storno drücken – fertig.
Nur wenige Sekunden sind verstrichen.
Keine Frage nach dem Wieso, Weshalb oder Warum. Die Damen verstehen sich ohne Worte. Geldscheine wechseln den Besitzer. Erledigt.
Meine direkt Vorgängerin wird komplikationslos abgefertigt und auch bei mir gibt es keine besonderen Vorkommnisse. Obwohl ich mit Karte bezahle.
Technik, die begeistert.
Einen Schokoriegel habe ich gleich dort gegessen. Es lagen ja genügend herum. Wegen der Nerven.